Mein Resümee als Personalentwicklerin
Gestern Morgen habe ich von meiner Tochter eine unfreiwillige Gesichtsdusche mit einem Blumensprüher bekommen. [Das war mal ein Überraschungseffekt. Bringt nichts sich aufzuregen. Ruhig bleiben und weiter im Programm.]
Beim Anziehen für den Waldkindergarten muss ich feststellen, dass 20 Minuten - wie meistens - nicht reichen. Meine 3-jährige Tochter zieht die Schuhe wieder aus, weil sie sie selbst anziehen mag. Plötzlich juckt auch der Schal und den Fleecepulli möchte sie auch nicht haben. [Ich finde mich damit ab, dass wir wieder ein paar Minuten zu spät kommen werden.]
Mittags kocht der Topf über, nebenher weint meine 5-jährige Tochter, weil ihr etwas weh tut, und meine 3-jährige Tochter stellt sich an den Herd und möchte umrühren. [Ok, Prioritäten setzen und Risiken einschränken. Ein Schritt nach dem anderen.]
Beim Essen möchte ich meiner 3-jährigen Tochter eine Haarspange in die frisch gewaschenen Haare machen, aber meine Tochter bevorzugt die Strähnen mit ihren von Tomatensoße betupften Fingern hinters Ohr zu streichen. [Was ist das Schlimmste, das passieren kann? Ok, ihre Haare könnten verkleben. Lässt sich wieder richten…]
Nach dem Essen wird gemalt und gebastelt. Wir haben viele Stifte, aber genau diesen einen möchten beide jetzt gerade haben. [Welche Lösung gibt es, mit der alle zufrieden sind? Was sind ihre Bedürfnisse dahinter?]
Später schneidet meine 3-jährige nicht nur das Papier, sondern auch ihre Haare. [Naja, Pony steht ihr auch ganz gut.]
Ich sage meiner älteren Tochter, dass ich 5 Minuten brauche, um etwas zu erledigen und wir dann etwas spielen können. Gefühlt alle 20 Sekunden werde ich gefragt, wann die 5 Minuten vorbei sind. [Tief durchatmen und Ziel im Auge behalten!]
Nachmittags auf dem Weg zum Auto stolpert meine Tochter und beschuldigt plötzlich mich dafür. [Damit habe ich jetzt wirklich nicht gerechnet. Interessant. Es sind ihre Gefühle, nicht meine. Ich versuche mich abzugrenzen.]
Ich könnte noch viele solcher Situationen aufzählen. Einige von euch, die Kinder haben, kennen das vielleicht. Noch nie im Leben habe ich so viele Gelegenheiten gehabt mich persönlich weiterzuentwickeln wie in der Elternzeit. Ich darf lernen:
Kontrolle abzugeben, zu improvisieren und vom Plan abzuweichen
Bedürfnisse zu erkennen, sowohl die eigenen, als auch die von anderen
situativ zu führen
mich selbst zu reflektieren und zu regulieren
Streit zu begleiten und zu moderieren
mich und andere zu organisieren und in Stresssituationen einen klaren Kopf zu bewahren
zu akzeptieren, dass es verschiedene Wege gibt
offen zu sein für kreative Lösungen
Situationen aus der Distanz zu betrachten und nicht persönlich zu nehmen
In dieser Lebensphase steckt so viel Potenzial zur Entwicklung von Soft Skills und das Potenzial über sich hinauszuwachsen. In keinem Training hätte ich besser meine Kommunikationsfähigkeit, mein Zeit- und Selbstmanagement, meine Anpassungsfähigkeit und Konfliktlösungskompetenz, Methoden zur Stressbewältigung und zur Entscheidungssicherheit trainieren und meine emotionalen Intelligenz stärken können. Meine Kinder sind meine besten Lehrmeister. Deswegen ist die Elternzeit für mich das beste Training on the job gewesen.
Erst jetzt habe ich mich wirklich intensiv mit gewaltfreier Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg beschäftigt und erfahren, was es heißt das im Alltag einzusetzen. Ich habe mich mit Selbstregulationstechniken und dem Nervensystem beschäftigt und verstanden, warum es manchmal so schwer ist sein Verhalten zu ändern – obwohl man es doch so sehr will. Das Thema Selbstakzeptanz, Selbstführung und das Integrieren aller Emotionen waren noch nie so präsent. Noch nie habe ich so intensiv mein Verhalten reflektiert und mein Bewusstsein geschärft – obwohl mir Weiterentwicklung und Reflektion schon immer wichtig waren.
Das bringt mich zu folgenden Fragen: Wie können Arbeitnehmer und Arbeitgeber von der Elternzeit gemeinsam profitieren? Wie können diese Kompetenzen systematisch gefördert und im beruflichen Kontext angewendet werden, so dass die Elternzeit als Chance für Wachstum und sogar als Karriere-Boost gesehen werden kann?
Als Personalentwicklerin sehe ich meine Elternzeit als eine Art Job Rotation zur Erweiterung des Horizonts und der eigenen Komfortzone. Was woanders teuer bezahlt wird, gibt es hier gratis. Wenn diese Lehreinheiten systematisch durch Coaching, Reflektion und Transfer in den eigenen beruflichen Kontext begleitet werden, könnten alle davon profitieren: die Arbeitnehmer in Elternzeit, der Arbeitgeber und nicht zuletzt die Kinder. Und nebenher reißt die Bindung zum/zur Mitarbeiter/in nicht ab, sondern bleibt erhalten und wird sogar unterstützt. win-win-win für alle!
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